EUA-Preise über 50 €/t sind die neue Norm
Nachdem sich die Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2020 auf das ehrgeizigere Ziel einer Emissionsreduzierung um 55 % bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 geeinigt hatten, setzte sich die deutliche Aufwärtsbewegung des europäischen CO2-Preises fort. Das Jahr 2021 begann mit einem CO2-Preis von 30 €/t. Neue Positionen von spekulativ-tätigen Marktakteuren, die auf einen ehrgeizigen langfristigen politischen Rahmen setzen, führten zu einer Fortsetzung des Aufwärtstrends im Frühjahr.
Diese Situation wurde durch die Entwicklungen auf dem europäischen Gasmarkt gegen Ende des Winters verstärkt. Dies ist vor allem auf die im Vergleich zum saisonalen Durchschnitt niedrigen Speicherstände, den kalten Winter und die geringeren russischen und norwegischen Gasflüsse zu Beginn des Jahres zurückzuführen.
Utvikling i Clean Spread (aggregert pr. uke) de siste tolv månedene i €/MWh
Bedingt durch den sehr hohen Gaspreis lagen die Erzeugungsmargen von Stein- und Braunkohlekraftwerken im Sommer erstmals seit Dezember 2019 überzeugend über der Marge von Gaskraftwerken. Dies führte dazu, dass die CO2-intensivere Stein- und Braunkohleverstromung sukzessive einen Teil der Gaskraftwerke aus dem Markt drängte, ein weiterer preisstützender Faktor für CO2-Preis.
Im August sorgten Gewinnmitnahmen auf dem Gasmarkt für eine Korrektur des CO2-Preises, doch war dies nur von kurzer Dauer. Eine neue Rallye, die den EUA-Preis auf über 60 €/t ansteigen ließ, spiegelt die aktuellen Fundamentaldaten und die Einschätzung der regulatorisch-politischen Rahmenbedingungen wider.
Während die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ein gewisses Abwärtsrisiko für die Gas- und indirekt auch für die CO2-Preise birgt, werden die EU-Gespräche über das Fit-for-55-Paket fortgesetzt. Infolgedessen erwarten wir, dass der EUA Dezember-21-Kontrakt zunächst bei einem Preisniveau um die 60 €/t halten wird. Sollte der Preis unter dieses Level korrigieren, rechnen wir mit starker zusätzlicher Unterstützung in der Preiszone zwischen 50 und 60 €/t durch sogenanntes Dip-Buying. Die Volatilität im Markt wird gemäß unserer Einschätzung in naher Zukunft hoch bleiben.
Das Fit-for-55-Paket – der Minderungsdruck steigt
Mit der Veröffentlichung des Fit-for-55-Pakets am 14. Juli 2021 hat die Europäische Kommission den politischen Prozess zur Überarbeitung und Neugestaltung des EU ETS vorangetrieben. Alle hier beschriebenen Elemente sind Gegenstand des politischen Prozesses und werden sich im Laufe der Verhandlungen wahrscheinlich noch ändern.
Eine neue Zertifikate-Obergrenze ist notwendig – der Zeitplan für die Umsetzung ist entscheidend
Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass die Emissionen im EU ETS einschließlich des noch hinzukommenden maritimen Sektors bis 2030 um 61 % gegenüber dem Stand von 2005 reduziert werden. Im Entwurf des Dokuments wird vorgeschlagen, den linearen Reduktionsfaktor (LRF) statt der derzeitigen jährlichen Rate von 2,2 % ab dem Jahr nach dem Inkrafttreten der neuen Richtlinie auf 4,2 % zu erhöhen. Dies entspricht einer jährlichen Verringerung des allokierten Zertifikatsvolumens um 82,1 Millionen (43 Millionen momentan). Wir gehen davon aus, dass die LRF-Änderung im Jahr 2024 in Kraft treten wird.
Dies würde bis 2030 zu einer kumulierten Reduktion von 1,9 Milliarden Zertifikaten im Vergleich zur derzeitigen Gesetzgebung führen. Die LRF-Änderung ist mit einer einmaligen Reduzierung der Obergrenze verbunden, dem sogenannten «Rebasing». Wir erwarten diese einmalige Anpassung für das Jahr 2024 und gehen von einer Reduktion der Zertifikate-Obergrenze um 117 Millionen EUAs aus. Dies führt aus unserer Sicht Mitte der 2020er Jahre zu einer angespannten Marktsituation und einem erhöhtem Preisschock- Risiko.
Ausweitung des Anwendungsbereichs und Erhöhung des Drucks auf Importe
Der Anwendungsbereich des EU ETS wird voraussichtlich ab 2023 um den maritimen Sektor erweitert. Des Weiteren ist für das Jahr 2026 die Implementierung eines separaten Emissionshandelssystem für den Verkehrs- und Gebäudesektor vorgesehen. Darüber hinaus ist ein Mechanismus zur CO2-Bepreisung für Importe aus nicht EU-Ländern (CBAM) geplant. Während für importierte Güter die Abgabe von Emissionszertifikaten verpflichtend wird, soll die kostenlose Zuteilung für Anlagen in den betroffenen Sektoren ab 2026 schrittweise reduziert werden. Der CBAM-Vorschlag sowie das ETS für Verkehr und Gebäude gehören zu den umstritteneren Elementen des Fit-for-55-Pakets und könnten den straffen Implementierungszeitplan gefährden. Eine Aufspaltung des Legislativprozesses könnte dabei das Risiko einer Verzögerung verringern.
Marktstabilitätsreserve wird weniger Einfluss auf den Markt haben
Der Gesetzentwurf sieht einige Änderungen an der Marktstabilitätsreserve (MSR) vor. Es wird vorgeschlagen, die Entnahmerate für die MSR bis mindestens 2030 bei 24 % zu belassen. Darüber hinaus werden die Emissionen und Zertifikate des Luft- und Seeverkehrs in die Gesamtzahl der im Umlauf befindlichen Zertifikate (TNAC) eingerechnet, voraussichtlich ab 2024.
Insgesamt wird die Beibehaltung der Obergrenze von 833 Millionen Zertifikaten der begrenzende Faktor für die Anwendung der MSR sein, da eine höhere Entnahmerate von 24 % nur im Falle einer Auslösung der Reserve Wirkung zeigen kann. Man kann argumentieren, dass das Einbeziehen des Luft- und Seeverkehrs in den TNAC eine erhöhte Hedging-Nachfrage rechtfertigen würde und daher die Obergrenze von 833 Millionen unverändert bleibt. Dieser Effekt würde jedoch durch die Verringerung des Hedging-Bedarfs im Zusammenhang mit den rasch sinkenden Emissionen im Energiesektor wieder aufgezehrt. Wir gehen davon aus, dass die MSR ab Mitte der 2020er Jahre die Auktionsvolumina nicht mehr reduzieren wird.
Daher sieht der Vorschlag mit der Entnahmerate von 24 % auf dem Papier preisstützend aus, könnte aber de facto nur geringe Auswirkungen haben. Stattdessen rückt ab Mitte der 2020er Jahre die Emissionsobergrenze wieder als Hauptpreistreiber in den Fokus.
Europäische CO2-Preise steigen an Wenn der Kommissionsvorschlag angenommen wird, sehen wir ein erhebliches Aufwärtspotenzial für die EUA-Preise, insbesondere ab Mitte der 2020er Jahre. Mit der schrittweisen Abschaffung der kostenlosen Zuteilung im Rahmen des CBAM sehen wir die Notwendigkeit vermehrt in industrielle Vermeidungsmaßnahmen zu investieren.
THEMA-Prognose Europäische CO2-Zertifikate in €/Tonne
In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass die EUA-Preise im Jahr 2030 ein Niveau von etwa 80 €/t erreichen werden. Eine Periode mit verstärkten industriellen Vermeidungsmaßnahmen führt zu einer Entspannung des Marktgleichgewichts Mitte der 2030er-Jahre. Anschließend sehen wir einen erneuten Anstieg der EUA-Preise um das Langfristziel der CO2-Neutralität zu erreichen. Nach 2030 werden die Vermeidungskosten in der Industrie und die Kosten für negative Emissionen preissetzend sein und wir erwarten CO2-Preise jenseits von 100 €/t ab Mitte der 2040er-Jahre.
Die Uhr tickt
Der politische Prozess zur Änderung der ETS-Richtlinie und der damit verbundenen Rechtsvorschriften braucht Zeit. Wie die anderen Fit-for-55-Gesetzesvorschläge erfordert auch die ETS-Reform ein Verfahren, bei dem sich die Gesetzgeber im EU-Parlament und dem Europäischen Rat auf ein endgültiges Ergebnis einigen müssen. Beim Gesetzgebungsprozess zur Überarbeitung der ETS-Richtlinie für den Zeitraum 2021 bis 2030, dauerte dies zwei Jahre. Angesichts der Komplexität der anstehenden ETS-Reform, die mit dem viel größeren Fit-for-55-Paket verknüpft ist, könnte der Prozess dieses Mal auch länger dauern.
Die Ungewissheit ist groß
Sollte der Prozess ins Stocken geraten oder sich in die Länge ziehen, würde die Änderung der Zertifikate-Obergrenze zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Der lineare Reduktionsfaktor müsste in diesem Fall wahrscheinlich noch aggressiver ausfallen, um das Ziel für 2030 nicht zu verfehlen, würde aber das insgesamt verfügbare Zertifikatebudget für die vierte Handelsperiode des EU ETS erhöhen. Insgesamt könnte der politische Prozess zu weniger ehrgeizigen ETS-Rahmenbedingungen führen, da die Verhandlungsführer des Parlaments und des Rates bei der finalen Ausgestaltung ein Wort mitzureden haben.
Eine detaillierte EUA-Preisprognose und eine Analyse der Auswirkungen des Fit-for-55 Paketes auf die europäischen Strom- und Emissionshandelsmärkte finden sich in THEMAs Green Value und Strommarktberichten. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Marcus Ferdinand. Marcus Ferdinand.