Vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges in der Ukraine prüft die Bundesregierung intensiv Alternativen zu russischem Erdgas. Da Gas in der Stromerzeugung eingesetzt wird, stellt sich auch hier die Frage, wie und um wieviel die entsprechenden Volumina reduziert werden können. Sowohl der Gebrauch von stillgelegten oder sich in der Reserve befindlichen Kohlekraftwerken und sogar die Laufzeitverlängerung der drei letzten Kernkraftwerke werden diskutiert.
2021 wurden in Deutschland rund 90 TWh Strom aus Erdgas produziert. Dies entsprach etwa 15% der Gesamtstromerzeugung und ca. 18 bcm Gasvolumen und damit etwa 12% des gesamten Gasverbrauchs. Eine Reduzierung der Gasnachfrage im Stromsektor würde Gas für andere Sektoren zur Verfügung stellen, in denen Alternativen schwieriger zugänglich sind, z.B. in der Industrie und im Wärmesektor.
In einer modellbasierten Analyse haben wir u.a. berechnet, welchen Einfluss höhere Stromerzeugungsmengen aus Kohle und eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke auf den Gasbedarf im Stromsektor haben können.
Zunächst kann der Strom aus Erdgas bereits ohne weitere Maßnahmen deutlich reduziert werden, wenn allein das aktuell hohe Gaspreisniveau erhalten bleibt und reguläre Kraftwerkskapazitäten im Markt unter maximaler Auslastung laufen. Für das Jahr 2023 ist damit eine Reduktion auf 62 TWh möglich, was etwa 12 bcm Erdgas entspricht.
Durch die erwähnte zusätzliche Aktivierung von Kohle- und Kernkraftkapazitäten (insgesamt ca. 9 GW) können zusätzliche 7 TWh, also etwa 1,4 bcm Erdgas eingespart werden. Dies erscheint im Verhältnis zur Kraftwerksleistung weniger als erwartet.
Es gibt drei Gründe für dieses begrenzte zusätzliche Verdrängungspotential:
- Wärmeverpflichtungen aus KWK-Anlagen.Viele der Erdgas-betriebenen Anlagen produzieren sowohl Strom als auch Wärme (Kraftwärmekopplung – KWK). Wenn die Wärmeverpflichtung dieser Anlagen erfüllt werden sollen, begrenzt das die Einsparungsmöglichkeit beträchtlich. Allerdings können einige Anlagen auch mit alternativen Brennstoffen wie z.B. Leichtöl betrieben werden.
- Erdgas wird vor allem zu Spitzenlastzeiten benötigt. Auch mit mehr Kohle- und Kernkraftkapazitäten wird Erdgas weiterhin als Stromquelle an kalten und windstillen Wintertagen benötigt. Dafür stehen ca. 28 GW Gaskraftwerkskapazitäten zur Verfügung. Die zusätzlichen Kapazitäten können also nur einen kleinen Teil dieser Kapazitäten ersetzen. Es wäre die Aktivierung von weiteren Kapazitäten notwendig, was allerdings negative Effekt z.B. auf die notwendige Netzreserve und damit die Stabilität der Stromversorgung hätte.
- Verdrängung von Erdgas im europäischen Ausland. Deutschland ist in das europäische Stromnetz eingebunden. Der Reduktionseffekt würden damit auch die Nachbarländer und andere Länder in Europa betreffen. Auch wenn dies positiv für Versorgungssituation in Europa wäre, würde es sich nicht in der deutschen Rechnung niederschlagen.
Kohle und Kernkraft können grundsätzlich die Nachfrage nach Erdgas im deutschen Stromsektor reduzieren, allerdings ist das potenzielle Einsparvolumen durch die genannten limitierenden Faktoren gering. Die Bereinigung über den Markt ist nach unserer Analyse viel bedeutender, um die Abhängigkeit des deutschen Stromsektors von russischem Erdgas zu minimieren, da bei anhaltend hohem Gaspreisniveau diese Kraftwerke aus der Merit-Order verdrängt werden.
Wir werden die Entwicklungen weiterhin genau beobachten und unsere Analysen entsprechend laufend aktualisieren.