Im diesem Jahr wurde Europa von außerordentlich hohen Energiepreisen heimgesucht, vor allem wegen der verringerten Gaslieferungen aus Russland. Ein extrem trockener und heißer Sommer und technische Probleme in den französischen Kernkraftwerken verschärften die Situation weiter. Die Krise hat sich von einer Preiskrise zu einer Versorgungskrise ausgeweitet. Jetzt sind viele europäische Länder unsicher, ob sie über ausreichende Energieressourcen verfügen, um den Winter zu überstehen.
Als erste Reaktion auf diese Herausforderungen forderte die EU ihre Mitgliedstaaten auf, ihre Gasspeicher vor dem Winter aufzufüllen. Im Juli verabschiedeten die Mitgliedstaaten außerdem ein unverbindliches Ziel, den Gasverbrauch in diesem Herbst und Winter um 15 Prozent zu senken. Falls erforderlich, kann das Ziel verbindlich werden. Die EU hat außerdem Vorschriften erlassen, damit die Mitgliedstaaten ihre eigenen Verbraucher vor den hohen Preisen schützen können. Dazu können verschiedene Formen von Marktinterventionen, Förderregelungen und regulierten Preisen zum Einsatz kommen.
Viele EU-Länder haben zusätzliche Maßnahmen gefordert, um den hohen Strompreisen entgegenzuwirken. Mit den hohen Gaspreisen ist auch der Strompreis stark gestiegen. Denn häufig erzeugen Gaskraftwerke die wichtige letzte Strommenge, die nach der Erzeugung durch Kernenergie, Erneuerbare und Kohle noch übrig ist. Gas ist derzeit teuer, so dass diese Strommenge ohne einen hohen Strompreis nicht produziert werden würde. Daher ist der Gaspreis auch für den Strompreis entscheidend.
Den ganzen Sommer über hat der Druck auf die Kommission zugenommen, weitere Maßnahmen zum Schutz der europäischen Verbraucher vor hohen Strompreisen zu ergreifen. Nach mehreren Wochen, in denen verschiedene Entwürfe und Varianten zirkulierten, legte die Kommission am Mittwoch, den 14. September, ihren Vorschlag für Krisenmaßnahmen vor. Der Vorschlag verbindet die Notwendigkeit, die Strompreise zu senken und einen erhöhten Gasverbrauch zu vermeiden. Gleichzeitig betont die Kommission, dass der Marktmechanismus und das Grenzpreisprinzip weiterhin gelten sollen. („Grenzpreisprinzip“ bedeutet, dass zu jedem Zeitpunkt die teuerste notwendige Stromproduktion den Strompreis bestimmt.)
Unserer Meinung nach tragen diese Vorschläge den wichtigsten Bedenken Rechnung, die in der politischen Debatte geäußert wurden. Insbesondere vermeiden sie:
- eine künstliche Beschränkung des Spotpreises,
- Verzerrung von Kraftwerkseinsatz-Entscheidungen und
- Erhöhung des Gasverbrauchs (wie in Spanien beobachtet).
In den Vorschlägen wird auch klargestellt, dass die Erlösobergrenze nur für realisierte Markterlöse gilt. Dies ist notwendig, um zu vermeiden, dass Erzeuger bestraft werden, die ihre Einnahmen gegen Schwankungen auf dem Stromgroßhandelsmarkt zu einem Preis unterhalb der Obergrenze abgesichert haben. Andere Ausnahmen (z. B. für PPA oder Anlagen, die über zweiseitige CfDs oder Einspeisetarife verkauft werden) sollten die Marktbeeinflussung auf ein Minimum beschränken. Die vorgeschlagene Preisobergrenze für inframarginale Erzeugung sollte die Preisfestsetzung kaum beeinflussen, sondern wird staatliche Einnahmen schaffen, die gezielt zur Senkung des Verbrauchs und zur Unterstützung schwacher Kundengruppen eingesetzt werden können.
Eine detaillierte Analyse der Preiseffekte wird in unserem aktualisierten Power Market Outlook Ende September folgen.
Weitere Details zu den Vorschlägen:
Der Vorschlag für die Krisenregelung, "Eine Notfallintervention zur Bewältigung hoher Energiepreise", enthält vier Hauptelemente:
1. Geringerer Stromverbrauch. Um den Strompreis zu senken, muss der Stromverbrauch gesenkt werden. Die Kommission schlägt vor, die Mitgliedstaaten anzuweisen, den Verbrauch in den Stunden mit dem höchsten Preis um 5 Prozent zu senken, was mindestens 10 Prozent aller Stunden entspricht. (1) Durch die Senkung des Verbrauchs in den Stunden mit den höchsten Preisen wird sichergestellt, dass die Verbrauchsreduzierung auch zu einer geringeren Stromerzeugung aus Gas führt.1 Darüber hinaus fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, den monatlichen Stromverbrauch um 10 Prozent im Vergleich zum Verbrauch in einem Referenzzeitraum zu senken. (2) Es ist Sache der Mitgliedstaaten, Instrumente zur Umsetzung der Verbrauchsreduzierung zu schaffen. Die Kommission fordert aber, dass die Instrumente marktbasiert sein müssen, sowie keine Verbraucher diskriminieren und den Markt nicht verzerren dürfen. Eine Senkung des Stromverbrauchs könnte sich auf den Gesamtstrompreis auswirken.
2. Umverteilung der außerordentlichen Einnahmen aus dem Energiesektor. Die Stromsubventionen und die Maßnahmen zur Sicherstellung der notwendigen Verbrauchsreduzierung müssen finanziert werden. Die Kommission schlägt vor, dies durch die Abschöpfung von Übergewinnen bei den so genannten "inframarginalen" Erzeugern zu tun, die auf dem Markt als Preisnehmer auftreten und günstiger als die preissetzende Technologie Strom produzieren. Für diese Erzeuger soll eine vorübergehende Einkommensobergrenze von 180 €/MWh eingeführt werden. Einnahmen, die über dieses Preisniveau hinausgehen, fließen den nationalen Behörden zu.
Zu den Stromerzeugern, die als inframarginal gelten und somit unter die Regelung fallen, gehören Kernkraft, Solarenergie, Windkraft, geothermische Kraftwerke, Biokraftwerke (mit Ausnahme von Biomethan), Ölkraftwerke, Müllverbrennungsanlagen, Braunkohlekraftwerke und unregulierte Wasserkraft.
Die Erlösobergrenze von 180 €/MWh wurde so hoch angesetzt, dass für alle erfassten stromerzeugenden Technologien die langfristigen Durchschnittskosten gedeckt sind. Die Erlösobergrenze dürfte sich daher weder verzerrend auf die kurzfristige Preisbildung noch auf langfristige Investitionsanreize auswirken.
Um zu verhindern, dass Stromerzeuger, die langfristige Stromabnahmeverträge mit einem niedrigeren Preis als dem Spotpreis abgeschlossen haben, dafür bestraft werden, soll die Erlösobergrenze nur für die realisierten Erträge gelten. Außerdem muss sie für alle Strommärkte (Spot, Intraday usw.) gelten, um zu vermeiden, dass es zu Verzerrungen zwischen den Märkten kommt.
Die Anforderung an den reduzierten Stromverbrauch und die Erlösobergrenze für inframarginale Produktionstechnologien sollen vom 1. Dezember 2022 bis zum 31. März 2023 gelten. Die Kommission wird bis Ende Februar einen Bericht über die Situation des Stromsystems vorlegen. Auf der Grundlage dieses Berichts wird die Kommission eine mögliche Verlängerung oder Änderung der Bestimmungen über die Verbrauchsreduzierung und die Erlösobergrenzen vorschlagen.
3. Umverteilung der außerordentlichen Einnahmen aus dem Öl-, Gas- und Kohlesektor: Viele Öl-, Gas- und Kohleversorger erzielen auf ihren Märkten ebenfalls sehr hohe Gewinne. Die Kommission schlägt vor, dass die Mitgliedstaaten einen Teil der außerordentlichen Einnahmen dieser Unternehmen einziehen, um Stromsubventionen, Verbrauchssenkungen und Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu finanzieren. Der Vorschlag wird als "[...] befristeter Solidaritätsbeitrag auf Übergewinne aus Tätigkeiten in den Sektoren Öl, Gas, Kohle und Raffinerien [...]" bezeichnet.
Durch den befristeten Solidaritätsmechanismus müssen die Mitgliedstaaten 33 Prozent der Gewinne erheben, die 20 Prozent der durchschnittlichen Gewinne der vorangegangenen drei Jahre für Unternehmen des Öl-, Gas- und Kohlesektors übersteigen.
Die Kommission muss bis zum 15. Oktober 2023 eine Bewertung der Bestimmungen über die Umverteilung außerordentlicher Einkünfte aus den fossilen Energiesektoren vorlegen.
4. Erweiterte Möglichkeiten zum Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen:Die Kommission wird auch die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zum Schutz von Verbrauchern vor hohen Strompreisen vorübergehend erweitern:
- Regulierte Endverbraucherpreise auch für kleine und mittlere Unternehmen
- Festsetzung von regulierten Endverbraucherpreisen, die unter den Kosten der gelieferten Energie liegen (für ein begrenztes Volumen und ohne dass die Anreize zur Reduzierung der Nachfrage verschwinden).
Der Vorschlag der Kommission wird als "Ratsverordnung" vorgelegt. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten im Rat allein die Verordnung annehmen oder ablehnen können, ohne dass das Europäische Parlament beteiligt ist. Die Mitgliedstaaten werden voraussichtlich auf einer außerordentlichen Sitzung der EU-Energieminister am 30. September über den Vorschlag der Kommission entscheiden.
Auswirkungen auf Norwegen:
Der Vorschlag ist nicht EWR-relevant. Die Verordnung wird daher wahrscheinlich keine direkten Auswirkungen auf Norwegen haben. Wenn der Plan jedoch angenommen wird und die gewünschte Wirkung auf die Strompreise hat, wird dies auch zu niedrigeren Preisen in Südnorwegen führen.
Derzeit werden zudem Gespräche darüber geführt, ob und wie Norwegen zur Senkung der Gaspreise beitragen kann.
Eine Lösung könnte darin bestehen, dass langfristige Verträge mit einem Preisniveau abgeschlossen werden, das die langfristigen Preiserwartungen widerspiegelt und nicht die kurzfristig hohen Preise. Dies wird wahrscheinlich kurzfristig zu niedrigeren Gaspreisen führen.
(1) Die Kommission definiert "Spitzenpreisstunden" als: "[...] Stunden des Tages, in denen die Day-ahead-Großhandelsstrompreise auf der Grundlage von Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber und der benannten Strommarktbetreiber voraussichtlich am höchsten sind;"
(2) Der Referenzzeitraum ist definiert als: "[...] der Zeitraum vom 1. November bis zum 31. März in den fünf aufeinanderfolgenden Jahren vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung, beginnend mit dem Zeitraum vom 1. November 2017 bis zum 31. März 2018;"