Gas ist knapp in Deutschland. Und es wird potenziell noch knapper. Die deutsche Gasnachfrage hat in den letzten Jahren stetig zugenommen, was Preise in die Höhe treibt und die Sorge vor einer Gasknappheit wachsen lässt. Die russische Drosselung der Gaslieferungen seit dem letzten Sommer hat die Befürchtung einer Gasknappheit im Winter weiter geschürt und lässt Preise auf ein noch nie dagewesenes Niveau steigen.
Der Druck auf deutsche und europäische Gasverbraucher steigt somit kontinuierlich. Nachdem Russland die meisten Pipelines schon abgestellt hat, liefert auch Nord Stream 1 seit Ende Juli nur noch mit 20% der möglichen Kapazität. Unter den gegebenen Umständen erscheint es zudem wahrscheinlich, dass Russland die Gaszufuhr nach Europa in Zukunft weiter drosselt. Daher bemüht sich Deutschland schon jetzt um eine höchstmögliche Auffüllung der Gasspeicher im Land.
Als Antwort auf diese Verknappung der Gaszufuhr richtete die deutsche Politik zuerst ihr Hauptaugenmerk darauf, mehr Gas aus anderen Quellen zu beziehen. LNG-Terminals werden mit höchster Priorität gebaut und der deutsche Energieminister Robert Habeck besuchte Norwegen, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate, um neue Verträge über die Abnahme von Gas auszuhandeln. Nun soll jedoch auch die Nachfrageseite für den Gas-Schock getrimmt werden. Wie in der EU abgestimmt, soll der Gaskonsum um mindestens 15% reduziert werden.
Die Industrie hat einen Anteil von 37% am deutschen Gasverbrauch, gefolgt von Haushalten (31%). Der Stromsektor macht zwar nur etwa 12% des Verbrauchs aus, ist aber häufig Kern der Diskussion in Deutschland was Einsparungen anbelangt. Denn Gasverbrauch im Strommarkt ist eng an andere intensiv-debattierte Themen wie den Kohle- und Kernkraft-Ausstieg geknüpft.
Dazu kommt nun noch der Ausfall der französischen Kernkraftwerke, der zu einer weiteren Erhöhung der Gasverstromung führt, auch in Deutschland. Derzeit sind auf Grund der niedrigen Kühlwasserstände in französischen Flüssen, sowie auf Grund von Sicherheitsrisiken in den Kraftwerken nur etwa 50% der französischen Kernkraftwerke am Netz. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch im kommenden Jahr 25% der französischen Nuklearflotte keinen Strom produzieren werden. Basierend auf unseren jüngsten Simulationsanalysen würde ein Ausfall der französischen Meiler dieser Größenordnung die jährliche Gasnachfrage im Stromsektor um ca. 12 bcm auf europäischer Ebene und um ca. 1 bcm in Deutschland erhöhen. Zum Vergleich: Die gesamte Nachfrage nach Gas in Europa im Jahr 2021 betrug ca. 400 bcm, die deutsche Nachfrage etwa 100 bcm.
Die Frage ist also, wie man die Gasverstromung reduzieren kann (siehe auch BDEW vom März 2022).Der Finanzminister Christian Linder (FDP) fordert sogar, die Verstromung von Gas per Verordnung einzuschränken. Ganz auf Gas zu verzichten ist allerdings nicht oder nur unter extremen Einschränkungen möglich: Erstens produzieren viele Gaskraftwerke auch dringend benötigte Wärme; zweitens liefern Gaskraftwerke in Deutschland gesicherte Leistung ohne die Strom-Engpässe im Winter wahrscheinlicher werden würden.
Vor dem Hintergrund des Ausfalls der französischen Meiler haben wir nun neue Simulationen durchgeführt, um Einsparungsvolumen im Stromsektor abzuschätzen. Hierbei haben wir folgende Maßnahmen untersucht:
- Eine Reaktivierung von Öl-, Kohle- und Braunkohlekraftwerken wie derzeit diskutiert und anvisiert. Kraftwerke aus der deutschen Sicherheits- und Kapazitätsreserve kommen also wieder auf den Markt. Zudem sind Kraftwerke, die im Jahr 2022 den Markt verlassen sollten, auch 2023 verfügbar.
- Ein zusätzliches Weiterlaufen der verbleibenden drei Kernkraftwerke in Deutschland.
Insbesondere der letzte Punkt, also die Debatte, ob die Verlängerung der Produktion von Nuklearstrom Gas einsparen könnte, beschäftigt die Politik. Unseren Analysen zufolge ist der Fokus rein auf den deutschen Strommarkt dabei allerdings nicht ausreichend, da Strom im großen Stil grenzübergreifend fließt und der europäische Stromsektor gut integriert ist.
Wieviel Gas auf Jahresbasis (Modelljahr 2023) durch die unterschiedlichen Maßnahmen eingespart werden kann ist in der Figur unten abgebildet. Zwei Beobachtungen sind zentral: Erstens, sowohl die Reaktivierung alter Kraftwerke als auch das zusätzliche Weiterlaufen der Kernkraftwerke reduzieren den Gasverbrauch; zweitens, das Gros der Einsparungen findet außerhalb von Deutschland statt. Das unterstreicht, dass Maßnahmen in einem europäischen und nicht nationalen Kontext gesehen werden müssen. Unsere Analysen zeigen ebenfalls, dass der Effekt der Maßnahmen auf die Gasverstromung gleichbleibt, auch wenn 100% der französischen Kernkraftwerke verfügbar wären.
So gesehen können die Kohle- und Kernkraftwerke in Deutschland durchaus einen Beitrag zur Gaseinsparung leisten. Zudem würden durch ihren Wiedereintritt in den Strommarkt bzw. durch ihren Weiterbetrieb die Strompreise sinken. Europaweit betrachtet würden außerdem die Kernkraftwerke dabei in etwa die Mehremissionen der Kohlekraftwerke ausgleichen. Die Relevanz der grenzübergreifenden Effekte deutscher Strommarkt-Entwicklungen wird wohl auch weiter hoch bleiben, da es auf deutscher Seite keine Überlegungen gibt, Stromexporte einzuschränken.
THEMA verfolgt die Entwicklungen laufend und wird sich auch im September in der kommenden Spezialausgabe des europäischen Marktausblickes der Gaseinsparmaßnahmen annehmen.
Falls Sie Fragen zu unseren Berechnungen haben oder die konkreten Preiseffekte der deutschen Politikmaßnahmen im Stromsektor diskutieren möchten, setzen Sie sich gerne mit uns in Verbindung. Wir freuen uns über jede Nachricht.