Der Strommarkt ist essenziell für den Umbau hin zu einer grünen Volkswirtschaft
Die deutsche Wirtschaft steht durch die Energiewende vor einer grundlegenden Umgestaltung. Im Zentrum dieser modernen industriellen Revolution steht der Energiesektor des Landes. Strom wird für Wärme, Verkehr und eine Vielzahl von industriellen Anwendungen benötigt. Zwar soll Wasserstoff die Lösung für viele dieser Herausforderungen sein, erfordert jedoch selbst Strom zur Erzeugung.
Dieser große und rasche Wandel erfordert ein schnelles Wachstum der Stromversorgung, das Deutschland durch eine fein abgestimmte Kombination von Marktkräften und maßgeschneiderter staatlicher Unterstützung erreichen kann. Doch wie lässt sich Versorgungssicherheit gewährleisten? Wie kann eine sich selbst tragende grüne Stromversorgung in Deutschland und Europa aufgebaut werden? Wie kann man den Markt „entfesseln“ und gleichzeitig sozioökonomische Fairness und öffentliche Unterstützung für die Energiewende sicherstellen?
Die neue deutsche Plattform zur Umgestaltung des Strommarkts
Ende Februar 2023 hat die Bundesregierung die "Plattform Klimaneutrales Stromsystem" einberufen und Experten aus allen energierelevanten Bereichen eingeladen, um diese Fragen zu beantworten. Kurzum: den Strommarkt neu zu gestalten.
THEMA-Analysen beleuchten die Details der Diskussionen zum Strommarkt
Aufgeteilter Strommarkt
In unserer jüngsten Strompreisprognose für Kontinentaleuropa haben wir uns beispielsweise mit einer der wichtigsten Fragen zur Marktgestaltung befasst, die derzeit in der EU diskutiert wird: ob der Strommarkt in zwei Teile aufgeteilt werden soll: einen für kapitalintensive Technologien, deren Betrieb fast nichts kostet (z. B. Windräder, Solarpaneele) und einen für Technologien, deren Hauptkosten erst während des Betriebs anfallen (z. B. Gas- und Kohlekraftwerke). Die erstgenannten Technologien würden nur einen festen Preis pro produzierte MWh erhalten, während die zweite Gruppe wie bisher den Grenzproduktionspreis erhalten würde.
Dieses Modell ist laut dem letzten durchgesickerten Design-Vorschlag der EU-Kommission vom Tisch, einige Politiker:innen hoffen jedoch, dass dies die Verbraucherpreise senken würde. Unsere Analyse der Strompreise in den nächsten zehn Jahren für die mitteleuropäischen Länder zeigt jedoch, dass die Verbraucherpreise zunächst nur um ein paar Cent pro kWh sinken würden. Im Laufe des Jahrzehnts dann, wenn immer mehr erneuerbare Energien auf den Markt kommen, würde dieser Preisvorteil des neuen Marktdesigns dann schrumpfen. Bis um 2030 in einigen Ländern sogar höhere Preise unter dem neuen Modell zu verzeichnen wären.
Wir stellen jedoch auch fest, dass das vorgeschlagene neue Design mehrere andere Probleme mit sich bringen würde: Es würde Knappheit oder Überproduktion nicht so stark anzeigen wie das derzeitige Design, was die Anreize zur Entwicklung und Investition in Flexibilitätslösungen dämpfen würde. Außerdem ist noch unklar, wie ein fairer Preis für investitionsintensive Technologien festgelegt werden soll: Sollten Gestehungskosten verwendet werden? Wenn ja, ein Durchschnittswert für ganz Europa? Oder lokale Preise? Die endgültige Definition würde Investitionsentscheidungen stark beeinflussen und einige Regionen gegenüber anderen begünstigen.
Das neue Design würde auch viel Verwaltungskapazität erfordern, da wahrscheinlich eine Institution als Generalabnehmer für den gesamten Strom fungieren müsste. Die Vorschläge zur Neugestaltung bedürfen daher zumindest einer eingehenden Prüfung, bevor ihre Umsetzung diskutiert wird.
Einige Bedingungen sind zu berücksichtigen
Das neue Design des deutschen Stromsektors orientiert sich zwar an klaren Zielen wie Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Klimaneutralität und Markteffizienz, muss aber auch eine Reihe von Zwängen berücksichtigen:
- Es muss die Liberalisierung stärken.Die Strommärkte müssen für den Wettbewerb und die freie Preisbildung offenbleiben, und die Netzgesellschaften müssen von den Erzeugungsaktivitäten entflochten bleiben.
- Es muss die EU-Beihilfevorschriften einhalten: Die EU-Kommission wird keine unfairen Vorteile für deutsche Stromunternehmen auf dem europäischen Markt akzeptieren. Außerdem muss sich das deutsche Marktdesign eng an die derzeit in der Entwicklung befindlichen EU-Marktregeln halten.
- CO2-Preise sind teuer: Sie sind für einkommensschwache Haushalte kaum zu tragen und machen kohlenstoffintensive Unternehmen möglicherweise nicht mehr wettbewerbsfähig.
- Die Digitalisierung muss möglich sein: Dynamische Tarife und folglich intelligente Zähler müssen bis 2025 ermöglicht werden, wobei bis 2032 ein digitaler Zähler pro Zählpunkt eingebaut werden muss.
- Die Zertifizierung von erneuerbaren Energiequellen und grünem Wasserstoff muss in das Marktdesign integriert werden, damit die Menschen wissen, welche Art von Energie sie verbrauchen.
Vier Arbeitsgruppen sollen zu drängenden Fragen beraten
Die deutsche Plattform selbst ist ein branchenübergreifendes Projekt. Mitglieder der Bundes- und Landesregierungen und verschiedener Regierungsinstitutionen, Vertreter von Wirtschaftsverbänden und der Zivilgesellschaft, von Stromverbrauchern, Übertragungsnetzbetreibern, Verteilernetzbetreibern und natürlich von Stromerzeugern treffen sich in Arbeitsgruppen und beraten die dringendsten Herausforderungen für das deutsche Stromsystem. Das Ergebnis dieser Arbeitsgruppen werden Regulierungsvorschläge sein, die in den deutschen Gesetzgebungsprozess einfließen.
- Die erste Gruppe konzentriert sich auf die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, in Deutschland und sucht nach Wegen zur Überwindung des lokalen Widerstands von Anwohner:innen, ökologischen Herausforderungen und bürokratischen Hürden. Eine weitere Frage für diese Gruppe wird sein, ob die Energy only-Märkte genügend Einnahmen, liefern können, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, oder ob die zunehmende Kannibalisierung die Einnahmen der EE-Betreiber zu sehr schmälern wird.
- Die zweite Gruppe befasst sich mit dem Problem der Sicherung der Flexibilität im Stromsystem. Angesichts des großen Flexibilitätsbedarfs reicht hier nur ein ganzheitlicher Ansatz aus, der alle potenziellen Instrumente von der Nachfragesteuerung über Batterien bis hin zu neuen Technologien wie Wasserstofferzeugung berücksichtigt.
- Gruppe zwei ist eng mit der Herausforderung der dritten Gruppe verbunden: Deren Aufgabe ist es, einen Weg zu finden, um die Verfügbarkeit von sicheren und flexiblen Kapazitäten zu gewährleisten. Welche Regelungen sind notwendig, um die Rentabilität solcher Anlagen zu sichern? Von Kapazitätsmärkten bis hin zu Subventionen ist alles im Gespräch.
- Während Gruppe drei nach Wegen sucht, um eine zuverlässige Stromversorgung zu jeder Zeit zu gewährleisten, entwickelt Gruppe vier eine Lösung, um das auch landesweit zu schaffen. Die oft genannte Lösung dafür wären ortsgebundene Preissignale, um lokale Investitionen in erneuerbare Energien, Nachfragesteuerung, Speicher und Netzleitungen anzuziehen. Diese Gruppe muss ein Gleichgewicht zwischen der Marktliquidität (die auf größeren Märkten besser ist) und lokalen Preisanreizen herstellen. Gleichzeitig muss sie einen effizienten und einfachen lokalen Markt entwickeln.
Wird Deutschland schlussendlich doch in zwei Gebotszonen aufgeteilt?
Zur Überraschung vieler Beteiligter brachte der Start der Plattform zudem einen alten Bekannten wieder auf die Tagesordnung: Die Frage, ob Deutschland in zwei Bieterzonen aufgeteilt werden soll. Und dieses Mal ist die Diskussion ernst. Und sie muss unbedingt mit den anderen auf der Plattform Fragen verzahnt werden. Ein Vorschlag zum Bau flexibler Kraftwerke beispielsweise macht keinen Sinn, ohne die gleichzeitig die deutsche Gebotszonenkonfiguration glaubwürdig zu finalisieren.
Der erste Bericht der Plattform soll bereits im Frühjahr 2023 vorgelegt werden
Er soll einen Weg aufzeigen, wie Anreize für den Bau flexibler Kapazitäten, z. B. wasserstoffbetriebener Anlagen, geschaffen werden können. Er wird daher auch als "Kraftwerksplan" bezeichnet. Zwei weitere, allgemeinere Berichte sind im Juni und Dezember 2023 fällig. Diese werden den aktuellen Stand der Diskussion darstellen und erste Vorschläge liefern.
Die EU führt ähnliche Prozesse durch
Unterdessen plant die EU-Kommission, ihre eigenen Pläne für eine Neugestaltung des Strommarktes bereits im Frühjahr 2023 vorzulegen. Deutsche Beamte nutzten die deutsche Plattform für eine klare Botschaft an Brüssel: Es besteht kein Grund zur Eile bei einer grundlegenden Reform, aber Deutschland ist bereit, bestimmte neue Marktgestaltungselemente wie CfDs und sogar Kapazitätsmärkte zu diskutieren.
THEMA-Expert:innen sitzen in ähnlichen Kommissionen in Norwegen
Nicht nur Deutschland und die EU suchen nach neuen Wegen, um eine sichere und kohlenstoffneutrale Stromversorgung in der Zukunft zu gewährleisten. Auch Norwegen hat einen Prozess in Gang gesetzt, der eine zuverlässige, umweltfreundliche und bezahlbare Stromerzeugung gewährleisten soll. Da einer unserer Partner Mitglied des norwegischen Strompreiskomitees und eine andere Partnerin Mitglied der Energiekommission ist, verfügt THEMA über umfangreiche Erfahrungen beim Begleiten und Unterstützung solcher Plattformen.
Unsere Expert:innen sind darüber hinaus eng in die deutsch-norwegische Zusammenarbeit im Energiebereich eingebunden. Dabei beraten wir sowohl Regierungen als auch Unternehmen, um die Rentabilität und Investitionssicherheit für Flexibilität, erneuerbare Energien und neue Technologien wie CCS und Wasserstoff zu gewährleisten. All das hängt von der Gestaltung des Strommarktes ab, die daher einen großen Teil unserer Arbeit ausmacht.
Wenn Sie mehr über unsere Arbeit zu diesen Themen erfahren möchten, senden Sie uns gerne eine E-Mail oder rufen Sie uns an. Wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören.